Nachhaltigkeit

Schwarzes Gold: Eine kurze Geschichte des Öls

In Öl zu investieren war schon immer ein Wagnis: Es begann als Goldrausch und entwickelte sich dann zu einem Verlustspiel.

Datum
Autor
Simon Usborne, Gastautor
Lesezeit
8 Minuten
Saudi Arabia oil

In den späten 1850er Jahren bot Edwin Drake den Menschen von Titusville einen willkommenen Anlass, sich zu versammeln und über ihn zu lachen. Der ehemalige Zugbegleiter und Geschäftsmann experimentierte mit einem riesigen Bohrer, der in der Nähe seines Hauses in Titusville, Pennsylvania, den Felsboden durchstiess. Eine Dampfmaschine trieb den Bohrer an, den Drake nach dem Vorbild damaliger Methoden zur Gewinnung von Salz gebaut hatte.

Monatelang arbeitete sich der Bohrer durch das Gestein, machte kaum Fortschritte und irritierte die Einheimischen. Drake ging langsam das Geld aus. Dann, an einem Sommertag des Jahres 1859, traf der Bohrer in einer Tiefe von mehr als 20 Metern auf eine Felsspalte. Am nächsten Morgen begann Rohöl in dem Rohr, durch das Drake gebohrt hatte, nach oben zu steigen. Die staunenden Männer sammelten das Öl in einer Badewanne auf.

Edwin Drake Öl
Edwin Drake bohrte als Erster nach Öl. © GRANGER 25 Chapel St. Suite 605 Brooklyn and Keystone/Science Photo Library

Diese Badewanne fing schwarzes Gold auf. Innerhalb weniger Wochen begann der Ansturm auf die Ölbohrungen im ganzen Staat und über die Grenzen hinaus. Nachdem Kohle die industrielle Revolution angetrieben hatte, war das Öl im Begriff, eine neue globale Wirtschaft anzuheizen – und das moderne Leben zu prägen.

Bis dahin hatte man Öl von der Gesteinsoberfläche gesammelt oder aus Walfischspeck gewonnen – beides ineffiziente und kostspielige Verfahren (vor allem, wenn man ein Wal war). Öl wurde hauptsächlich für Lampen verwendet. Als besonders wertvoll galt es nicht, geschweige denn als Rohstoff, in den es sich zu investieren lohnte. 

Als Drake auf das schwarze Gold stiess, verflüchtigte sich die Skepsis und die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer in den USA. Nun, da das Öl in schwindelerregenden Mengen effizient gefördert werden konnte, begann es auch für Investoren viel attraktiver zu werden.

Teufelskreis aus Aufschwung und Niedergang

Einer der Männer, die sich für den Boom der frühen 1860er Jahre interessierten, war ein junger Unternehmer namens John D. Rockefeller. Der Sohn eines Handelsreisenden hatte eine Ausbildung als Buchhalter absolviert, sah aber Potenzial in Öl. Er baute 1863 eine Raffinerie in Ohio und verkaufte Lampenöl, Schmiermittel, Vaseline und Teer für Pflasterungen. 

John D. Rockefeller
Während Drake ein Leben lang arm blieb, wurde John D. Rockefeller zum reichsten Mann der Welt. © GRANGER 25 Chapel St. Suite 605 Brooklyn

Rockefeller legte seinen Laserfokus auf Effizienz. Er nahm hohe Kredite auf und reinvestierte die Gewinne, während er sich den Boom der Eisenbahnen und den Wohlstand nach dem US-Bürgerkrieg zunutze machte. 1870 hatte er Standard Oil mitbegründet. Es wurde zum grössten Unternehmen der Welt. Im Verhältnis zu Zeitgenossen gesehen ist Rockefeller noch heute der reichste Mann der Welt.

Doch 1878 zeigten sich zum ersten Mal die Unwägbarkeiten der Ölmärkte. Die Erfindung der elektrischen Glühbirne machte Kerosin schnell nahezu überflüssig. Die Ölnachfrage brach ein. Es entstand ein Teufelskreis aus Aufschwung und Niedergang, der bis heute andauern sollte.

Henry Ford
Henry Ford mit seinem Sohn Edsel in einem 1905 Ford vor seinem Zuhause in Detroit. © GRANGER 25 Chapel St. Suite 605 Brooklyn

Die Rettung kam auf vier Rädern, als Henry Ford 1903 das Zeitalter des Automobils einläutete. Benzin, bis dahin ein Nebenprodukt der Bohrungen, veränderte die Ölindustrie; ein Prozess, der mit dem Aufkommen der Luftfahrt wieder in Gang kam. Der Erste Weltkrieg sorgte für noch mehr Wachstum. Aus Furcht vor einer Ölknappheit förderte die US-Regierung die Expeditionen und Aufkäufe im Ausland, auch im Nahen Osten.

Weltwirtschaftskrise Öl
Arbeitslose vor einer Suppenküche in Chicago während der Weltwirtschaftskrise.

Die Weltwirtschaftskrise liess die Ölpreise zusammenbrechen. Tausende von Kilometern von der Wall Street entfernt verursachte sie auch einen Niedergang der Anzahl Pilger in Saudi-Arabien, deren Besteuerung das Haupteinkommen von Ibn Saud, dem Gründungskönig des Landes, gewesen war. Nachdem er dem Ölproduktionspotenzial seines Königreichs anfänglich skeptisch gegenübergestanden war, beschloss er, entschied er sich schliesslich dennoch für die Förderung. Ende der 1930er Jahre war Saudi-Arabien die grösste Rohölquelle der Welt. 

Öl Saudi Arabien
Mann und Dromedar bei einer Erdölbohrung im Saudi Arabien der 1940er Jahre. © GettyImages, Universal History Archive

Öl wurde schnell weltweit attraktiv, als Investoren zahlreiche Gelegenheiten ausspähten, Geld in die Exploration, Förderung und Dienstleistungsindustrie von Pipelines, Eisenbahnen und Tankern zu investieren. Mit dem Fortschreiten des 20. Jahrhunderts wurden Ölinvestitionen immer ausgefeilter. 

Doch die Branche blieb geprägt von Abschwüngen und den zunehmend politischen Implikationen der Förderung und des Schutzes von Bohrlöchern und Versorgungswegen. Kein anderer Rohstoff hatte je einen solchen Einfluss auf die wirtschaftliche Stabilität oder die nationale Sicherheit. Darüber hinaus wurde immer deutlicher, dass sich der schwarze Goldrausch katastrophal auf die Umwelt auswirkte.

Die erste Ölkrise

Der New Deal und der Zweite Weltkrieg trugen dazu bei, dass sich das Öl nach der Grossen Depression erholte. Mit dem Krieg realisierte man auch endlich, dass Öl nur in begrenzten Mengen vorhanden war. Das erhöhte wiederum den Druck auf die Nationen, ihre Versorgung zu sichern. 1951 warf der Iran westliche Ölgesellschaften aus dem Land. Von Suez bis zum ersten Golfkrieg lenkte das Öl die US-Aussenpolitik des 20. Jahrhunderts, prägte die Diplomatie, löste Konflikte aus und stellte den Mut der Investoren auf die Probe.

Im Jahr 1973 führte der arabisch-israelische Krieg zu einem Boykott der arabischen Länder durch die USA, Grossbritannien und andere westliche Nationen, die Israel unterstützten. Der "erste Ölschock" gab den Ton der 1970er Jahre an, als die Ölpreise in die Höhe schnellten, die Energieversorgung bedroht war und das Wirtschaftswachstum in vielen Ländern ins Stocken geriet.

Ölkrise
Kutschen statt Autos: Pferde sah man 1973 auch auf den Autostrassen deutscher Grossstädte. © imago images, Sven Simon


Unser Jahrhundert ist das Jahrhundert der Globalisierung gewesen, in dem China und Indien die Schwellenländer in einem Wettlauf um noch mehr Öl anführen. Die Preise boomten bis 2008 und der weltweiten Rezession, danach stiegen sie wieder stetig an. Doch mit dem rasch wachsenden Wissen um die Klimaerwärmung und dem problematischen Einfluss des Öls zeichnete sich eine weitere Ölkrise ab, während erneuerbare und alternative Energiequellen boomen.

Ölkrise
Berlin 1973: Wegen der Ölkrise durften keine Motorfahrzeuge fahren. © GettyImages, Kasperski/ullstein bild


All dies spitzte sich in diesem Jahr zu, als sich der durch die Coronavirus-Pandemie verursachte Einbruch der weltweiten Ölnachfrage über Nacht beschleunigte und tiefe Risse offenbarte. Im April, als die Öllager ihre Kapazität erreichten, begannen die Händler dafür zu bezahlen, dass ihnen die Fässer aus den Händen genommen wurden. Die Ölpreise wurden zum ersten Mal in ihrer bewegten Geschichte negativ.

Der Zusammenbruch war auch das Ergebnis des Terminhandels an den Rohstoffbörsen, bei dem Öl zu einem Preis verkauft wird, der für den Zeitpunkt der Lieferung vorhergesagt wird. Diese Kontrakte werden gehandelt, und als einige von ihnen im April ausliefen, wurden die Händler dafür bezahlt, sie zu übernehmen.

Öl zu verfallen war leicht

Die Preise erholten sich wieder, blieben aber niedrig. Im Juni sagte BP voraus, dass die Ölpreise jahrzehntelang niedrig bleiben würden, da die Regierungen ihre Pläne zur Erreichung der Kohlenstoffemissionsziele beschleunigten. Doch der Schock des Jahres 2020 hat auch die Herausforderungen dieses Übergangs offenbart, insbesondere für die ölexportierenden Länder, was das Risiko einer noch grösseren regionalen Instabilität erhöht. Dem Öl zu verfallen, war der leichte Teil. Eine Welt davon zu entwöhnen, wird schwieriger sein.

Im Irak zum Beispiel machen die Öleinnahmen zwei Drittel der Wirtschaft aus. Langfristige Belastungen dieses Modells werden, so sagen Beobachter voraus, weitreichende Auswirkungen auf Migrationsmuster und die Bedrohung durch den Terrorismus haben. "Der Coronavirus-Ölschock ist keine einmalige Krise; er ist eine Generalprobe für die nahe Zukunft", schrieb Amos Hochstein, ehemaliger US-Sondergesandter für internationale Energiefragen, im Juni.

Zurück in Titusville, Pennsylvania, steht derweil ein Museum als Denkmal für Edwin Drakes historischen Treffer von 1859. Während das Öl viele Menschen seither sehr, sehr reich gemacht hat, fehlte Drake selbst der Geschäftssinn, um seinen Bohrinstinkten gerecht zu werden. Er starb 20 Jahre nach dem Goldfund als verarmter Mann. Zu diesem Zeitpunkt hatte er wohl noch nicht realisiert, was er auf die Welt losgelassen hatte.

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