Nachhaltigkeit

Städte im Klimawandel: Verursacher und Opfer

Der Klimawandel und extreme Wetterereignisse machen den Städten zu schaffen. Sie müssen widerstandsfähiger werden. Aber wie?

Datum
Autor
Peter Firth, Gastautor
Lesezeit
10 Minuten
Hochwasser

Im Zentrum der Diskussionen während des COP26 stand oftmals nicht etwa das Ende der Entwaldung, eine Senkung unserer Emissionen, oder die Elektrifizierung des Verkehrs – sondern wie Städte widerstandsfähiger gegen Klimakatastrophen werden.

Extreme Wetterereignisse
56% der Weltbevölkerung leben in Städten - diese sind besonders anfällig für extreme Wetterereignisse. © KEYSTONE/AP Photo/Eugene Hoshiko

In den letzten Jahren ist immer deutlicher geworden, dass urbane Gebiete besonders anfällig für extreme Wetterereignisse sind – von Überschwemmungen und Hitzewellen bis hin zu Erdbeben und Tsunamis. Immer mehr Städter werden Zeugen der Folgen der Erderwärmung. So gab es in den USA im Jahr 2020 mehr Klima- und Wetterkatastrophen als in jedem anderen Jahr. Offiziellen Angaben zufolge verursachten 22 Einzelereignisse Schäden in Höhe von jeweils rund einer Milliarde US-Dollar. Und es wird noch schlimmer: In den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 ereigneten sich 18 Vorfälle.

Inzwischen beherbergen die Städte einen grösseren Teil der Weltbevölkerung. Im Jahr 1950 lebten nach UN-Angaben nur 30% der Menschen in Städten. Heute ist dieser Anteil auf 56% angestiegen. Bis 2050 werden es voraussichtlich 68% sein. Das Thema urbaner Resilienz ist daher in aller Munde bei politischen Entscheidungsträgern, Stadtplanern und Bürgern.

Städte müssen Kohlenstoffemissionen reduzieren und widerstandsfähiger werden

Städte weniger verwundbar zu machen, ist eine komplizierte Angelegenheit. David Hsu, Professor für Stadt- und Umweltplanung am MIT, ist der Meinung, dass die Zukunftssicherung von Städten zwei Aufgaben beinhaltet: Städte müssen widerstandsfähiger werden, aber auch weniger umweltschädlich. "Es gibt keine Möglichkeit, eine Stadt so robust zu machen, dass sie dem Klimawandel standhält", sagt er. "Städte müssen also zwei Dinge tun: Kohlenstoffemissionen reduzieren und widerstandsfähiger werden. Sie sind der Ort des Konsums – daher müssen sie den Energie-, Material- und Wasserverbrauch reduzieren."

David Hsu
Professor für Stadt- und Umweltplanung David Hsu: "Jede Stadt auf der Welt wird in den kommenden Jahren neue Risiken entdecken, von denen sie vorher nichts wusste."

Um die Städte klimafreundlicher zu gestalten, bedarf es eines koordinierten Ansatzes. Das Global Resilient Cities Network (GRCN) ist eine Organisation, die Verbindungen zu Stadtplanern und politischen Entscheidungsträgern aus Städten auf der ganzen Welt herstellt, um sich über Ansätze zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit und Sicherheit von Städten auszutauschen. Die Geschäftsführerin Lauren Sorkin weist darauf hin, wie wichtig es ist, einen Chief Resilience Officer (CRO) zu ernennen, der die Risiken überwacht. "Eine Person, die für die urbane Resilienz verantwortlich ist, ist für die Sicherheit der Städte unerlässlich", sagt sie. "Viele Städte auf der ganzen Welt sehen sich mit denselben Herausforderungen, Gefahren und Unsicherheiten konfrontiert, aber eine gründliche Kenntnis des jeweiligen Standorts ist entscheidend."

Sorkin verweist auf die jüngste Arbeit des GRCN im asiatisch-pazifischen Raum. Als Mitinitiator des Temasek Foundation Urban Resilience Programme (TFURP) mit einer Reihe von Mitarbeitenden brachte das GRCN führende Persönlichkeiten aus der Region zusammen, um eine Vereinbarung darüber zu treffen, wie Investitionen in die städtische Resilienz beschleunigt werden können.

Das ist ein kluger Ansatz. Die Modernisierung von Städten ist eine kostspielige Angelegenheit. Aber die Ausgaben verblassen im Vergleich zur Untätigkeit, wie eine Studie der Weltbank zeigt. Die Institution geht davon aus, dass Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen für jeden in eine widerstandsfähige Infrastruktur investierten Dollar vier Dollar an Nutzen ziehen, und verweist auf die geschätzten Kosten von 18 Milliarden Dollar pro Jahr, die diesen Ländern durch klimabedingte Katastrophen entstehen.

Lauren Sorkin
Die Geschäftsführerin von Global Resilient Cities Network Lauren Sorkin will einen Chief Resilience Officer (CRO) in jeder Stadt.

"Bei einer widerstandsfähigen Infrastruktur geht es nicht nur um Strassen, Brücken oder Kraftwerke. Es geht um die Menschen, die Haushalte und die Gemeinschaften, für die diese hochwertige Infrastruktur eine Lebensader für bessere Gesundheit, bessere Bildung und bessere Lebensbedingungen ist", schreibt der Präsident der Weltbankgruppe David Malpass in dem Bericht. "Bei Investitionen in eine widerstandsfähige Infrastruktur geht es darum, den Menschen wirtschaftliche Chancen zu eröffnen. Dieser Bericht zeigt einen Weg auf, den die Länder einschlagen können, um eine sicherere, inklusivere und wohlhabendere Zukunft für alle zu schaffen."

Bei der Widerstandsfähigkeit geht es also nicht nur um materielle Werte, sondern auch um Lebensqualität und die Gewährleistung der Sicherheit der gefährdeten Bevölkerung. Hsu stellt fest, dass Wetterereignisse die bereits existierenden Probleme der Städte noch verschärfen. Er führt Massachusetts als Beispiel an. In diesem Bundesstaat besteht derzeit die Gefahr, dass 160’000 Häuser aufgrund des steigenden Meeresspiegels verloren gehen, doch der Wohnungsmarkt boomt bereits, und viele Menschen koennen sich die Mieten nicht mehr leisten. "Dies trifft auf viele Orte zu, an denen der Klimawandel Probleme verschärft, die bereits vorhanden waren", sagt er. "Hitzewellen fordern die meisten Todesopfer, und Überschwemmungen richten den grössten Sachschaden an. Jede Stadt auf der Welt wird in den kommenden Jahren neue Risiken entdecken, von denen sie vorher nichts wusste."

So werden Städte widerstandsfähiger: Superkanäle, Schwämme, Dschungel

Ist Technologie die Antwort? Vielleicht. Sauberere, nachhaltigere Energieerzeugungsmethoden werden immer günstiger, und auch nachhaltige Verkehrsmittel und andere alltägliche Lösungen werden sich durchsetzen. Aber es sind auch Innovationen und technische Projekte von atemberaubendem Ausmass im Gange.

So plant China beispielsweise, 30 Städte weniger anfällig für Überschwemmungen zu machen, indem Betonstrassen und -bürgersteige durch Materialien mit schwammartigen Eigenschaften ersetzt werden. Statt dass sich Strassen in Flüsse verwandeln, wird das Wasser einfach in die darunter liegende Kanalisation versickern. In London soll der Thames Tideway Tunnel (der sogenannte Superkanal) verhindern, dass nach starken Regenfällen Rohabwasser in den Fluss fliesst. Er soll 25 km lang werden und 4.2 Milliarden Pfund kosten.

China Städte weniger anfällig für Überschwemmungen
China plant, 30 Städte weniger anfällig für Überschwemmungen zu machen, indem Betonstrassen und -bürgersteige durch Materialien mit schwammartigen Eigenschaften ersetzt werden. © Mu Yu Xinhua / eyevine / eyevine / laif

Auch an der Basis gibt es Initiativen, um Städte widerstandsfähiger zu machen. Der Beton und der Asphalt, der den Stadtboden bedeckt, machen ihn heisser, weil er die Sonne reflektiert. Forscher der Universität von Wisconsin fanden heraus, dass in US-Städten 40% der Fläche mit Bäumen bedeckt sein muss, um die Hitze in der Stadt spürbar zu reduzieren – ein Anteil, der für die meisten städtischen Dschungels unwahrscheinlich erscheint. Japaner haben jedoch einen Ansatz zur Begrünung der Städte entwickelt, der sich auch anderswo durchgesetzt hat: Miyawaki Akira, Ökologe an der Yokohama National University, hat Pionierarbeit geleistet, indem er ungeliebte urbane Bereiche mit einer Vielzahl von Bäumen, Sträuchern und Reben bepflanzt hat, um die Luft abzukühlen. Das Ergebnis ist eine Reihe von Mikrowäldern von Asien bis Europa, die die Temperaturen leise senken.

Da die Städte in den kommenden Jahrzehnten immer grösser und dichter bewohnt werden, wird sich die Anzahl der Probleme, mit denen sie konfrontiert werden, vervielfachen. Planer, Technologen, Designer und Erfinder arbeiten jedoch an interdisziplinären Strategien, um die städtische Umwelt und die Menschen, die dort leben, besser zu schützen. Es steht viel auf dem Spiel – bebaute Gebiete sind der Ort, an dem neue Ideen, Volkswirtschaften und Gesellschaften gedeihen. Wenn Städte versagen, leidet die Zivilisation.

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